Die Landesforsten blicken in die Glaskugel

Die Landesforsten Schleswig-Holstein vertrauen auf die Genauigkeit eines zweifelhaften Computermodells bei der Planung der Wälder der Zukunft. Bestehende Naturschutzgesetze und die Nationale Biodiversitätsstrategie finden kaum Beachtung. Werden wir in Jahrzehnten wieder vor einem großen Waldsterben stehen?

Seit diesem Monat schaut Tim Scherer, Direktor der Schleswig-Holsteinischen Landesforsten (SHLF) per Computer-Modell in die Zukunft der norddeutschen Wälder. Anhand der Software will er den Wald der Zukunft so aufbauen, dass er mit dem Klimawandel zurechtkommt. Die wirkliche Waldnatur in Schleswig-Holstein hat für ihn keine Bedeutung: „Es interessiert mich relativ wenig, nur darauf zu schauen, wie die Vegetation früher war, weil ich weiß, dass sie künftig anders aussehen wird,“ so Scherer.

Was fortschrittlich klingt, hat jedoch einen Haken: Bisher konnte niemand die weitere Entwicklung des Klimas und die Reaktionen der vielfältigen Waldökosysteme mit ausreichender Wahrscheinlichkeit vorhersagen. Es existieren in der Forschung hierzu nur vage Szenarien, die eine breite Palette von möglichen Verläufen beschreiben: Vom Umkippen des Waldes durch rasche Erwärmung bis zur Erkaltung durch das Nachlassen des Golfstroms ist alles dabei.

BUND-Mitglied Lutz Fähser, einer der Herausgeber des neuesten Standardwerks „Der Holzweg“ im oekom-Verlag und seit 40 Jahren Förster in Schleswig-Holstein, skizziert das Problem in wenigen Worten: „Man muss das gesamte Ökosystem eines Waldes funktionsfähig halten. Einfach nur Bäume auszutauschen, die sich vermeintlich an das Klima angepasst haben, reicht nicht: „Wunderbaumarten“ gehören nicht in das norddeutsche Ökosystem und sind für Flora und Fauna Fremdkörper – im schlimmsten Fall werden sie wieder abgestoßen“.

Die von den Landesforsten favorisierten „Wunderbäume“ Douglasie, Küstentanne und Roteiche aus Nordamerika und die Lärche aus Japan sollen die ebenfalls vor 200 Jahren aus den Mittelgebirge eingeführten, und nun sterbenden Fichten ersetzen. In der bestehenden „Betriebsanweisung Waldbau“ sollen diese schnellwachsenden Holzarten je nach Altersphase zehn bis 50 Prozent der neuen Forste bedecken.

Dabei lassen die SHLF eines außer Acht: Die noch bestehenden Wald- und Naturschutzgesetze sowie die Richtlinien für die EU-Natura2000-Schutzgebiete haben völlig andere Inhalte. Sie zielen auf den Erhalt der heimischen Vegetationsgesellschaften und die Funktionsfähigkeit des Naturhaushaltes ab. Die Nationale Biodiversitätsstrategie der Bundesregierung von 2007 sieht vor, den Anteil der heimischen Baumarten und Waldgesellschaften kontinuierlich zu erhöhen und die Bewirtschaftung naturnah mit nur minimal störenden Eingriffen vorzunehmen.

Tatsächlich können sich ökologisch intakte, naturnahe Wälder an veränderte Lebensbedingungen wesentlich besser anpassen als künstlich gestaltete Anpflanzungen mit exotischen Holzarten, die von dem hiesigen komplexen System aus Mikroorganismen, Pilzen, Pflanzen und Tieren erst einmal nicht unterstützt werden. Natürliche Waldgesellschaften verändern sich dynamisch. Ihre aktuellen Erscheinungsformen sind Ausdruck permanenter Anpassung, die die Natur über rund 300 Millionen Jahre erfolgreich praktiziert.

Fähser, der seit 40 Jahren aktives Mitglied im Bund für Umwelt und Naturschutz Landesverband Schleswig-Holstein (BUND) und stellvertretender Sprecher des BUND-Arbeitskreises Wald auf Bundesebene ist, fordert: „Das Landwirtschaftsministerium muss sich als hoheitliche Aufsichtsbehörde entscheiden, ob sie den computergläubigen Landesforstdirektor gewähren lässt, oder ob sie ihn anweist, die staatlichen Wälder nach Recht, Gesetz und empirisch gesichertem, waldökologischem Fachwissen zu bewirtschaften.“

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