Historischer Armenfriedhof verzögert Baumaßnahme in der Hüxtertorallee

Archäologen finden zahlreiche Grabstätten – Entsorgungsbetriebe passen Planungen an

Funde liefern Erkenntnisse über Armenfriedhöfe © Hansestadt Lübeck

Seit Mitte Februar 2023 erneuern die Entsorgungsbetriebe Lübeck den Regenwasserkanal in der Hüxtertorallee. Wie insbesondere im historischen Altstadtkern und umliegenden Gebiet üblich, wird die Baumaßnahme eng von den Lübecker Archäologen begleitet, denn: Wo immer gegraben wird, finden sich Zeugnisse der lübschen Vergangenheit. Bereits im Vorfeld war bekannt, dass die Baumaßnahme möglicherweise einen historischen Friedhof vor dem ehemaligen Mühlentor berühren könnte. So überrascht die Expert:innen derzeit nicht der Fund, sondern die Anzahl von Gräbern. Da die Freilegung und Dokumentation von Gräbern mit Sorgfalt und gebührendem Respekt zu erfolgen hat, ist diese sehr zeitaufwendig. Dadurch kommt es zwangsläufig zu Behinderungen bei den Bauarbeiten – konkrete Aussagen zu den zeitlichen Verzögerungen sind derzeit noch nicht möglich. Aktuell wird die Planung der Entwässerungsleitung angepasst und geprüft, ob die flachere Verlegung über den gesamten Rohrgraben möglich ist. Parallel hat das Verkehrsflussmanagement der Hansestadt Lübeck reagiert und unmittelbar anschließende Baumaßnahmen, wie den Breitbandausbau, werden zeitlich noch neu eingesteuert.

Historischer Armenhausfriedhof
1639 wurde ein im städtischen Eigentum befindliches Grundstück vor dem Mühlentor dem Armenhaus im St. Annen-Kloster als Friedhof überlassen. Neben Armenhausbewohnern hatten auch die für das St.-Annen-Kloster tätigen Beamten sowie Ärzte und Lehrer das Anrecht auf ein Grab. Der Friedhof wurde bis 1868 genutzt. Er erstreckt sich nach den bekannten Archivalien in der Hüxtertorallee auf einer Länge von ca. 120 Metern von Norden nach Süden etwa bis zum Gebäude Hüxtertorallee 22 und setzt sich auch westlich und östlich im Bereich der Grünanlagen fort. Die gesamte Fläche beträgt rund 8.000 Quadratmeter. Durch Begräbnisunterlagen und weitere historische Unterlagen ist davon auszugehen, dass hier während der Nutzungszeit über 50.000 Tote beerdigt wurden.
Eindeutig ausschließen können die Archäologen, dass es sich um den Friedhof des St. Jürgen Siechenhauses handelt, somit an dieser Stelle keine Pesttoten bestattet wurden!

Funde liefern Erkenntnisse über Armenfriedhöfe
Seit Baubeginn Mitte Februar wurden etwa 25 Bestattungen, überwiegend intakte Gräber mit Holzsärgen und Skeletten, aufgenommen sowie verworfene menschliche Knochen geborgen. Die Skelette werden für weitere Untersuchungen eingelagert. Und auch vom Holzsarg und der Verfüllung des Sarges werden an bestimmten Stellen Proben genommen, um auch an diesen noch Untersuchungen durchzuführen. Da die wissenschaftliche Forschung von „Armenfriedhöfen“ bisher noch ziemlich am Anfang steht, gibt es bisher nur wenige Erkenntnisse über diesen Friedhofstyp. Hierzu können die jetzigen archäologischen Untersuchungen einen wertvollen Beitrag leisten. Gern stehen wir hierzu für weitere Fragen zur Verfügung.

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