„Virtuelle Zauberflöte“

Lübecker Gesangsstudierende präsentieren komplett virtuelle Oper

An der Musikhochschule Lübeck (MHL) entsteht Die Zauberflöte von Wolfgang Amadeus Mozart erstmals als komplett virtuelle Oper. Mit der Virtuellen Zauberflöte wagen Gastregisseur Anthony Pilavachi, Gastdirigent Mark Rohde und MHL-Korrepetitor Robert Roche ein Experiment, das die Isolierung in Corona-Zeiten widerspiegelt: Ihre Partien bringen die 24 jungen Gesangssolisten der MHL jeweils auf ihre eigene Bühne im heimischen Wohnzimmer. Dennoch soll die „Virtuelle Zauberflöte“ zu einem Gesamtkunstwerk mit viel Emotion und Interaktion werden. Die Online-Premiere findet am Montag, 17. August um 18:00 Uhr statt.

Mit nur wenigen Requisiten und ohne Kulissen werden Gesangsstudierende der MHL die erste komplett online entstandene „Zauberflöte“ aufführen. Alle Proben finden über eine Online-Plattform statt, die sich in der Bildungslandschaft in Coronazeiten etabliert hat. An die hundert Online-Sitzungen für musikalische und szenische Proben sowie Organisation wird es bis zur fertigen „Zauberflöte“ brauchen. Der international renommierte Regisseur Anthony Pilavachi, der in Lübeck insbesondere mit seinen „Ring“-Inszenierungen Furore gemacht hat, erläutert: „Die Zauberflöte eignet sich gut für dieses digitale Experiment, das meines Wissens weltweit einmalig ist. Der berühmte Opernstoff hat eine unglaublich humanistische Botschaft und steckt voller Gefühle, die sich zu allen Zeiten und an allen Orten abspielen können, auch in den Wohnzimmern unserer Tage.“ Die Idee zur virtuellen Zauberflöte wurde durch die Corona-Einschränkungen geboren. Korrepetitor Prof. Robert Roche erläutert: „Uns war klar, dass wir die geplante Inszenierung der Zauberflöte in Lübeck und Bad Oldesloe mit den neuen Sicherheitsregeln nicht würden realisieren können. Um unseren szenischen Projektunterricht dennoch zu gewährleisten, haben wir beschlossen radikal zu sein: eine Oper komplett im virtuellen Raum, in dem die Sängerinnen und Sänger nur in ihrer Vorstellung miteinander agieren. Es ist ein Experiment und wir sind selber gespannt, wie es funktionieren wird.“

Sind alle Rollen zufriedenstellend einstudiert, schicken die Gesangsstudierenden ihre eigenen Videoaufnahmen an Mark Rohde, der damit gleichfalls zum Technischen Leiter des Projektes wird. Er legt die Gesangsstimmen am Rechner über seine separat eingespielte Klavierbegleitung mit Dirigiervideo, die entstandenen Filmausschnitte setzt Pilavachi abschließend zum Gesamtkunstwerk „Virtuelle Zauberflöte“ zusammen. „Die Videokonferenzprogramme, die wir für die Probenarbeit nutzen, sind für Sprache, nicht für Gesang optimiert. Die zeitliche Verzögerung durch das Internet erschwert die Arbeit zusätzlich“, beschreibt der international gefragte Dirigent, stellvertretende Generalmusik-direktor (GMD) am Nationaltheater Mannheim und neue GMD am Mecklenburgischen Staatstheater Schwerin, die Herausforderungen bei der Probenarbeit. „Es geht uns nicht um die Illusion einer makellosen Aufführung, vielmehr ist der Weg das eigentliche Ziel: nämlich den Gesangsstudierenden auch in diesen Ausnahmezeiten eine intensive musikalische Arbeit und persönliche Weiterentwicklung zu ermöglichen.“

Viele der Rollen sind dreifach besetzt, damit sich möglichst viele Studierende am experimentellen Opernprojekt beteiligen können. Es singen in den Hauptrollen Celina Denden und Rocio Reyes Romero (Pamina); Wonjun Joo, Marius Pallesen und Zixing Zhang (Tamino); Jasmin Delfs, Anna Eufinger und Natalie Helgert (Königin der Nacht) sowie Changhyun Yun (Sarastro). Mit der Premiere eröffnet die MHL gleichzeitig die Nachsaison zum Sommersemester, in der durch Corona-Einschränkungen ausgefallener Präsenzunterricht nachgeholt werden soll.

Die „Virtuelle Zauberflöte“ ist in einer gekürzten, rund eineinhalbstündigen Fassung zu sehen. Sie feiert am 18. August um 18:00 Uhr im Rahmen der „MHL-Studios“ Premiere und kann unter www-mh-luebeck.de abgerufen werden.

Hintergrund – Eine Probenimpression
Regisseur Anthony Pilavachi sitzt während der laufenden Probe in Köln, der Korrepetitor Robert Roche in Hannover, Rocio Reyes in der Rolle der Pamina in Hamburg. Sie singt ihre Partie mit einem Mikrofon im Ohr zur Klavierbegleitung, die Mark Rohde für sie eingespielt hat. Pilavachi coacht die chilenische Masterstudentin über den Bildschirm: „Bleib eine starke junge Frau, fall' nicht zurück in die Rolle des schwachen jungen Mädchens aus dem 19. Jahrhundert, das passt nicht zu Mozart“. Obwohl die Technik manchmal streikt und Musik und Mundbewegungen nicht synchron laufen, versucht der Regisseur den Klang- und Körperaus-druck genau abzunehmen und leitet die Studentin so lange zur Wiederholung an, bis ihr Gesamtausdruck authentisch ist. Pilavachi geht es in erster Linie um diese Authentizität der Gefühle, die die Gesangsstudierenden in ihrer Rolle finden sollen. Auch Caspar Krieger, der im An-schluss seine Online-Probe hat, feilt so lange an seiner Arie, bis die Zerrissenheit des Monostatos zwischen Aggression, Leidenschaft und Schmerz förmlich spürbar wird. Anders als bei herkömmlichen Filmaufnahmen entscheidet allein der Sänger, wie nah ihm der Zuschauer am Bildschirm dabei kommt. Dabei muss er lernen, mit einer Pamina zu kommunizieren, die nur in seiner Vorstellung existiert und die er allen-falls über ein Profilbild an seinem Rechner sehen kann, denn die beiden trennen während der Proben rund 300 Kilometer. Pilavachi zu den Proben: „Die Arbeit am Bildschirm ist ungeheuer intensiv. Die Studierenden brauchen eine viel präzisere Theatersprache als auf der Bühne und eine ungemein hohe Intensität im Ausdruck, damit die Rollenpartner damit weiterarbeiten können, quasi einen Trampolin für ihre Gefühle bekommen.“

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